Ein kürzlich erschienener Artikel im Stern (zum Artikel) erklärt dem Leser, dass bei einem Unfall auf der Autobahn derjenige, der die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h überschreitet, immer mithaftet. Das ist nicht richtig, wie ein aktuelles Urteil des OLG Hamm vom 06.02.2018 (Az. 7 U 39/17) klarstellt.
Während eines Überholvorganges mit 150 km/h scherrte der andere Unfallbeteiligte von dem rechten auf den linken Fahrstreifen einer Autobahn aus, ohne den rückwärtigen Verkehr zu beachten. Das geschah ohne ersichtlichen Grund – die Autobahn vor ihm war frei – und ohne Betätigen des Fahrtrichtungsanzeigers. Es kam zum Auffahrunfall, da das überholende Kfz auf der linken Spur nicht mehr rechtzeitig abbremsen bzw. ausweichen konnte.
Trotz Überschreiten der Richtgeschwindigkeit ging das Gericht von einer alleinigen Haftung des „spurwechselnden“ Fahrers aus. Nach Ansicht des Gerichts komme es nicht zwangsläufig zu einer Mithaftung aufgrund einer Überschreitung der Richtgeschwindigkeit. Überdies liege nur „maßvolle“ Überschreitung der Richtgeschwindigkeit von 20 km/h vor, was keine erhöhte Gefahr begründe, da sie mit den Straßen- und Sichtverhältnissen vereinbar war. Zudem rechtfertige das erhebliche Verschulden des „spurwechselnden“ Fahrzeugs keine Mithaftung des Auffahrenden. Der „spurwechselnde“ Fahrer sei aus Unachtsamkeit teilweise (0,8 m) auf den linken Fahrstreifen geraten. Er habe sich nicht im Hinblick auf die Geschwindigkeit des überholenden Fahrzeugs verschätzt, sondern vielmehr dessen Annäherung gar nicht bemerkt.
Ähnlich entschied auch das OLG Celle mit Urteil vom 17.05.2001 (Az. 14 U 175/00) und das OLG München mit Urteil vom 02.02.2007 (Az. 10 U 4976/06). In dem vom OLG München entschiedenen Fall scherrte ein Lkw-Fahrer ohne Betätigen des Fahrtrichtungsanzeigers 50 m vor dem überholenden Fahrzeug aus und es kam zum Auffahrunfall. Das Gericht entschied, dass trotz überschrittener Richtgeschwindigkeit es bei der Alleinhaftung des Lkw-Fahrers bleibe, hinter dessen grobem Verschulden die Betriebsgefahr des überholenden Pkw zurücktrete.
Natürlich gibt es auch Fälle in denen eine Mithaftung in Betracht kommt, es kommt aber sehr auf den Einzelfall an.