Keine Verletzung der elterlichen Aufsichtspflicht bei einem durch achtjährigen Radfahrer verursachten Verkehrsunfall

Ist ein achtjähriges Kind nach seinen Fähigkeiten grundsätzlich in der Lage, mit dem Fahrrad hinreichend sicher zu fahren sowie den von ihm befahrenen Weg ohne Begleitung eines Erwachsenen zurückzulegen und wurde es hinreichend über die Verkehrsregeln unterrichtet, liegt keine Verletzung der Aufsichtspflicht vor, wenn das Kind ohne unmittelbare Beaufsichtigung eigenverantwortlich am Straßenverkehr teilnimmt.

Das hat kürzlich das Landgericht Osnabrück entschieden. Im diesem Urteil zu Grunde liegenden Fall war es so, dass der Kläger mit seinem Pkw an einer innerörtlichen Kreuzung stand. Der achtjährige Sohn der Beklagten kollidierte auf seinem Fahrrad fahrend mit dem Pkw.

Der Kläger behauptete nun, die Beklagten haften als Eltern wegen Vernachlässigung ihrer Aufsichtspflicht. Ihr Sohn hätte nicht ordnungsgemäß am Straßenverkehr teilnehmen können, so dass die Beklagten dies hätte verhindern müssen.

Das Landgericht Osnabrück hat die Klage des Autofahrers abgewiesen und betont, dass die Beklagten ihre Aufsichtspflicht nicht etwa dadurch verletzt haben, dass sie ihren Sohn unbegleitet mit dem Fahrrad im öffentlichen Straßenverkehr haben fahren lassen. Auch im Bereich des Straßenverkehrs ist dabei zu berücksichtigen, dass die gesetzliche Aufsichtspflicht darauf gerichtet ist, das Kind zu einem selbstständigen und verantwortungsbewussten Verhalten hinzuführen. Ein solches Verhalten kann gerade nicht durch eine ständige Kontrolle erlernt werden. Daher muss den Aufsichtspflichtigen unter Berücksichtigung der Eigenart und der Fähigkeiten des jeweiligen Kindes die Möglichkeit eingeräumt werden, ihr Kind im Straßenverkehr ohne unmittelbare Beaufsichtigung eigenverantwortlich agieren zu lassen. Bei Kindern in der Altersstufe zwischen 6-10 Jahren, die in der Regel den Schulweg bereits alleine zurücklegen, muss es im allgemeinen genügen, dass die Eltern sich über das Tun und Treiben in groben Zügen einen Überblick verschaffen, sofern nicht konkreter Anlass zu besonderer Aufsicht besteht. Anderenfalls würde jede vernünftige Entwicklung des Kindes, insbesondere der Lernprozess im Umgang mit Gefahren, gehemmt werden. Es entspricht gesicherter Rechtsprechung, dass jedenfalls ein achtjähriges Kind, das ein Fahrrad hinreichend sicher zu fahren vermag, über Verkehrsregeln eindringlich unterrichtet worden ist und sich über eine gewisse Zeit im Verkehr bewährt hat, auch ohne eine Überwachung durch die aufsichtspflichtigen Eltern mit dem Fahrrad am Straßenverkehr teilnehmen kann, beispielsweise um zur Schule zu fahren oder einen sonst bekannten bzw. geläufigen Weg zurückzulegen. 

Die Entscheidung des Landgericht Osnabrück ist begrüßenswert: Mündige Verkehrsteilnehmer erhält man letztlich nur durch ein sukzessives Ermöglichen von Freiräumen. Entschädigungsfreie Grauzonen sind hier das vergleichsweise geringere Übel und insofern gesellschaftlich in Kauf zu nehmen.